3. „AIDS-Cocktails“: Tod auf Rezept
Zulassung der AIDS-Medikamente illegal – Erkenntnisse über Giftwirkung jahrelang unter Verschluss
© Jan-Philipp Hein und Michael Leitner
Juliane Sacher hat abgeschworen: Sie vertraut den Produkten der Pharmaindustrie nicht mehr bedingungs-los. So sagt die Frankfurter Ärztin: „Viele Medikamente sind eigentlich Giftstorfe." Dir Nutzen bestehe darin, dass sie in Ausnahmesituationen eine für den Patienten sehr positive Wirkung haben können. „Das ist aber häufig nur kurzfristig der Fall. Bei langfristiger Gabe mancher Medikamente überwiegt die Giftwirkung. "
Wenn sie über AIDS-Medikamente redet, dann stimmen ihr weder AIDS-Mediziner, noch die sogenannten AIDS-Dissidenten zu. Für die einen, die AIDS-Mediziner, sind die sogenannten Cocktails der einzige Weg, das Leben von Menschen mit positivem HIV-Test zu verlängern. Für die Anderen sind die Wirkungen der Medikamente so schwer, dass sich die Einnahme von selbst verbiete.
Juliane Sacher ist sich ihrer Außenseiterposition bewusst: „Man kommt nicht an der Feststellung vorbei, dass die AIDS-Medikamente das Leben vieler gerettet haben, die lebensbedrohlich erkrankt waren.“ Aber so sehr diese Medikamente kurzfristig helfen würden, so sicher sei, dass man den Organismus damit langfristig schädige. „Auf keinen Fall sollte so etwas symptomlosen HIV-positiven gegeben werden.“ Sie ist von der Stichhaltigkeit ihrer Argumente überzeugt: „AIDS-Medikamente hemmen die Neubildung von Erbsubstanz und damit neuer Zellen." So etwas sei hilfreich, wenn sich ein Organismus nicht mehr gegen Krankheitserreger wehren könne, wie es oft bei schwer erkrankten AIDS-Patienten der Fall sei. „Gibt man diese Medikamente langfristig, dann verhindert man nicht nur die Vermehrung von Krankheitserregern." Der Körper verliere durch den Zellverlust Substanz. „Das kann keinem Patienten eine langfristige Perspektive geben."
Seit die Ärztin mit AIDS-Patienten zu tun hat, versucht sie immunschwache Patienten naturheilkundlich zu behandeln. Sie ist eine Frau der ersten Stunde. Bei einer großen Studie zur Medikation von Menschen mit einem positiven HIV-Test, dem Frankfurter HIV-Modell, behandelte sie als einzige nicht mit Retrovir/AZT, dem bekanntesten aller AIDS-Medikamente. „Retrovir verhindert die Bildung wichtiger T4-Immunzellen." Die Menschen werden infektionsanfällig und ihr Körpergewebe kann sich nicht mehr regenerieren. Statt auf Retrovir setzte Frau Sacher auf naturheilkundliche Verfahren.
Über die Zwischenergebnisse der Studie veröffentlichte die Ärztezeitung 1989, einen Artikel mit der Überschrift: „In der Frühphase alternative Therapien statt AZT?" Helga- Rübsamen-Waigmann, Leiterin der Studie, habe der Zeitung zufolge vor der Anwendung von AZT in der Frühphase der HIV- Infektion gewarnt. Dir Chef, Hans Dieter Brede, Leiter des Georg-Speyer-Hauses (GSH) in Frankfurt habe außerdem festgestellt, dass alternative Therapiemethoden AZT im ersten Jahr der Studie überlegen gewesen wären. Dazu Juliane Sacher: „Bei den AZT- Patienten gab es einen Abfall des Immunstatus von 77 Prozent, bei meinen Patienten von 7 Prozent. Das klingt nicht schlecht für meine Therapien, aber eines hat mich irritiert: Die Patienten, die gar nicht behandelt werden wollten, hatten gar keinen Abfall ihres Immunstatus'."
Immunstatus, darunter versteht die Medizin hauptsächlich die Anzahl der T4-Zellen, einer Art der weißen Blutkörperchen. AZT, ein in den 60er Jahren nicht für Menschenversuche zugelassenes, experimentelles Leukämiemittel, wurde entwickelt, um die Überproduktion von weißen Blutkörperchen zu stoppen. „Es ist doch absurd", so Sacher, „dass so etwas für AIDS- Patienten einen Nutzen bringen soll, obwohl es etwas reduziert, von dem AIDS- Patienten zu wenig haben."
Mit dem Zwischenergebnis der Studie, versuchte Sacher auch vor Gericht, eine Kostenübernahme ihrer Therapien gegenüber den Krankenkassen durchzusetzen. „Ich war an manchen Tagen mehr vor Gericht, als in meiner Praxis. Ich wollte nicht akzeptieren, dass ich Patienten im Stich lassen muss, wenn sie alternative Therapien nicht bezahlen können." GSH-Chef Brede habe ihr sogar verboten, die Zwischenergebnisse der Studie zu veröffentlichen oder vor Gericht zu verwenden. „Irgendwann habe ich dann frustriert meine Kassenzulassung zurückgegeben. "
Was Sacher damals noch nicht wusste: Die Zwischenergebnisse des Frankfurter HIV- Modells hätten eigentlich zu einer Überprüfung der Zulassung von Retrovir (AZT) führen müssen. Grundlage dafür ist das Arzneimittelgesetzt (AMG), insbesondere der Paragraph 63. So müssen Medikamente auch nach der Zulassung kontinuierlich auf ein positives Risiko-Nutzen-Verhältnis für den Patienten überprüft werden. Dieser Paragraph gelangte Anfang der 90er mit dem Bluterskandal erstmals ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Im Falle der Gerinnungspräparate für Bluter war er verzögert angewendet worden. Zu diesem Schluss kam der Bluteruntersuchungsausschuss des Bundestages. Er beschäftigte sich ausführlich mit dem Paragraphen 63. Der Schlussbericht vom 25. Oktober 1994 kommt unter anderem zu folgenden Feststellungen:
-„Es besteht die Gefahr, mit einem antiviralen Medikament auch die Wirtszelle selbst zu zerstören."
- Liegen Hinweise darauf vor, dass ein Medikament unerwünschte Nebenwirkungen hat, es mehr schadet als nutzt, dann muss dies auf einer Sondersitzung der zuständigen Sonderbehörden überprüft werden. Erhärtet sich der Verdacht, ist das Medikament sofort aus dem Verkehr zu ziehen.
Maßgeblich dafür ist das sogenannte Stufenplanverfahren, dass bei Hinweisen auf unerwünschte Nebenwirkungen einzuleiten ist. Hinweise auf unerwünschte Nebenwirkungen von Retrovir/AZT liefert nicht nur die AZT-Verpackung für Laborversuche. Auf ihr ist ein Totenkopf. Auch das Frankfurter HIV-Modell liefert, wie erwähnt, genug Hinweise auf die Gefährlichkeit des Mittels. Doch fast niemandem ist diese Studie bekannt. Weder dem Robert Koch Institut (RKI), Referenzzentrum für AIDS, noch dem Bundesgesundheitsministerium, dem alle deutschen Gesundheitsbehörden untergeordnet sind, ist das Frankfurter HIV-Modell angeblich bekannt. Der Berliner Morgenpost liegt ein Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit (BMfG) an den.Petitionsausschuss des Bundestages vom 7. Mai 1998 vor. Dort heißt es: „Dem BMfG und dem Bundesamt für die Zulassung von Arzneimitteln (BfArM) sind weder der Plan noch die Durchführung oder die Ergebnisse einer Studie bekannt, in der zu einer antiretroviralen Therapie alternative medikamentöse Behandlungen untersucht worden sind." Und ein paar Absätze weiter: „Richtig ist vielmehr, dass die zuständige Behörde, im vorliegenden Fall das BfArM, bisher keinen Grund für eine Neubewertung des Nutzens und der Gefahren einer Behandlung mit AZT und somit für die Einleitung eines Stufenplanverfahrens gemäß den Paragraphen 62 und 63 AMG gesehen hat."
Auch Ulrich Marcus, Pressesprecher des RKI, will vom Frankfurter HIV-Modell nichts gehört haben. Vage schrieb er am 7. Oktober 1998: „Sofern bisher wissenschaftlich aussagefähige Vergleichsuntersuchungen zwischen antiretroviralen Medikamenten wie beispielsweise Retrovir und sogenannten Alternativtherapien durchgeführt wurden, konnte nach unserer Kenntnis eine Überlegenheit alternativer Therapien nicht belegt werden." „Stufenplanverfahren dienen dazu, vor nebenwirkungsreichen Medikamenten zu schützen, wenn es gleichwertige und ungefährlichere Alternativen gibt. Dies ist derzeit bei der HIV- Therapie nicht der Fall.“
Es ist schon merkwürdig, dass niemand die Frankfurter Studie kennt. Denn sie ist vom Bundesgesundheitsministerium finanziert worden. Dies bestätigte Ursula Dietrich, Mitarbeiterin des Georg-Speyer-Hauses, am 7. Oktober 1999.
Die Existenz einer Studie, die nicht nur nach Interpretation eines der größten deutschen Untersuchungsausschüsse, sondern auch nach den Bestimmungen des Bundesamtes für die Zulassung von Arzneimitteln zur Überprüfung der Zulassung von Retrovir hätte führen müssen, wird von RKI und BMfG bestritten. Das BMfG kennt also die größte Studie nicht, die es selbst zu AIDS- Medikamenten in Auftrag gegeben hat.
Der in Essen praktizierende Arzt Klaus-Peter Schlebusch konfrontierte am 11. Mai dieses Jahres das BMfG ebenfalls mit dem Artikel aus der Ärztezeitung, der feststellte, dass Retrovir m der Frühphase der Behandlung schlechtere Ergebnisse erzielte, als alternative Therapien oder völliger Therapieverzicht. Eine Antwort bekam er erst, als Journalisten beim BMfG nachhakten (Dr. Schlebusch ist z. Zt. In Urlaub, das Schreiben der Red. Noch nicht bekannt)
Natürlich gibt es viele Studien zu Retrovir, und natürlich gibt es auch Studien, die das Medikament in besserem Licht erscheinen lassen. Zum Beispiel die sogenannte Fischl-Studie, die 1987 zur Zulassung von Retrovir führte. Sie zeigte, dass in einer Gruppe von 145 AIDS-Patienten die Retrovir bekamen, nach etwa vier Monaten nur ein einziger verstarb. In einer 137-köpfigen Gruppe, die ein Placebo bekamen, verstarben 19 Menschen.
Doch die Studie, finanziert von der Retrovir-Hersteller Wellcome, wurde später vom New Yorker Journalisten John Lauritsen als Pfusch entlarvt. So hätten viele Patienten ihre Pillen analysiert, weil sie unbedingt Retrovir und nicht das wirkungslose Placebo bekommen wollten. Aus den Unterlagen der Studie ging hervor, dass Patienten mit den AZT-Nebenwirkungen stärker von Ärzten betreut wurden, als die Patienten aus der Placebo-Gruppe. In der Placebo-Gruppe hätten fünf AIDS-Kranke lebensverlängernde Bluttransfusionen erhalten. In der AZT-Gruppe waren es 30, die bis zum Abschluss der Studie mehrfach Bluttransfusionen bekamen.
Eine Mitarbeiterin der Folgestudie, die namentlich nicht genannt werden möchte, sagte gegenüber der Berliner Morgenpost, dass sie noch heute Gewissensbisse plagen, an dieser Studie mitgearbeitet zu haben.
Die Ärzte hätten ihr damals gefälschte Werte diktiert, die sie m den Computer tippte. „Man konnte sehen, dass auf deren Bögen andere Werte standen. "
Ein Beispiel dafür, wie Retrovir bei Betroffenen wirkt ist Alexander Berger (Name von der Redaktion geändert). Berger war symptomlos, hatte aber eine positives Antikörpertestergebnis. „Ich bekam eine Zweierkombination. Retrovir war einer der Bestandteile." Schon nach zwei Tagen sei es ihm hundeelend gegangen. „Ich war das erste Mal in meinem Leben richtig krank. Ich konnte zwei Wochen lang nicht aufs Klo, hatte eine Verstopfung, Bauchschmerzen und war betäubt, wie unter Drogen." Er habe sich schwach gefühlt.
Auch mit einer anderen Kombination, wieder waren Medikamente beteiligt, die ähnlich wie Retrovir wirken, ging es Berger sehr schlecht. „Es bildeten sich Fettablagerungen an manchen Körperteilen, andere wiederum magerten ab." Ihm sei häufig übel gewesen, er bekam Probleme mit der Leber. „Keiner der Ärzte hat mich über Nebenwirkungen aufgeklärt. "
Sein Fazit: „Ich fühle mich von den Ärzten stark verletzt, beinahe verstümmelt." Die abgemagerten Körperteile nähmen nur langsam an Masse zu, die Fettablagerungen verschwänden auch nur allmählich. „Das, was man mit mir gemacht hat, ist für mich ein klarer Fall von Körperverletzung."